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Reportage Wie Sodastream in den Strudel des Nahostkonflikts geriet

Sodastream-CEO Daniel Birnbaum kämpft für seine Palästinenser
Sodastream-CEO Daniel Birnbaum kämpft für seine Palästinenser
© Jonas Opperskalski
Für 3,2 Mrd. kauft Pepsi Sodastream. Der Sprudelhersteller ist eine israelische Erfolgsgeschichte – vor einigen Jahren zeigte er aber auch, wie irrational der Nahostkonflikt sich auf die Wirtschaft in Israel und Palästina auswirken kann

Auch weil es viele im Westen gut mit den Palästinensern meinen, haben Ali Jafar und 500 andere Palästinenser ihre Jobs verloren. Über seinen letzten Arbeitstag spricht Jafar nicht gern: „Was soll ich sagen? Es war hart, sehr hart. Meine Kollegen waren wie eine Familie für mich.“ Der 40-Jährige, Vater von fünf Kindern, stammt aus einem Dorf östlich von Jerusalem. Drei Jahre lang hatte er bei Sodastream gearbeitet, dem israelischen Hersteller von Wassersprudlern, hatte sich vom Arbeiter zum Schichtleiter hochgekämpft. Im Februar 2016 musste er gehen. „Es ist hart, wenn man plötzlich nicht mehr weiß, wie man der Familie das Essen auf den Tisch bringen kann“, sagt er. Er und 73 weitere Palästinenser waren die Letzten, die gehen mussten, nachdem Sodastream eine Fabrik im Westjordanland geschlossen hatte. Ihre Jobs wurden zwischen Menschenrechtsaktivisten und der israelischen Regierung aufgerieben. Sodastream kennt fast jeder in Deutschland. Die Geräte, mit denen sich Kohlensäure in Leitungswasser pressen lässt, stehen in vielen Küchen. Dazu vertreibt das Unternehmen Sirups, die das Sprudelwasser anschließend in Cola, Limonade, Energydrink oder Bier verwandeln. 400 Mio. Dollar Umsatz machte Sodastream damit im vergangenen Jahr weltweit, seit 2007 hat sich der Umsatz vervierfacht. Eine israelische Erfolgsgeschichte – und eine Parabel darüber, wie irrational der Nahostkonflikt sich auf die Wirtschaft in Israel und Palästina auswirken kann.

Höherer Mindestlohn

Jahrelang hatte Sodastream neben Dutzenden anderen Standorten eine Fabrik im Westjordanland betrieben, im Palästinensergebiet. Die Jobs dort waren beliebt, schließlich ist jeder vierte Palästinenser im Westjordanland arbeitslos, und der palästinensische Mindestlohn liegt mit 1450 Schekel (345 Euro) weit unter dem israelischen von 4825 Schekel (1150 Euro). Für Ali Jafar, der vorher für palästinensische Firmen gearbeitet hatte, war es eine gute Nachricht, als Sodastream ihn anstellte.

Jafar daheim mit seiner Frau und zwei Töchtern. Haya (2. v. r.) will bald Medizin studieren
Jafar daheim mit seiner Frau und zwei Töchtern. Haya (2. v. r.) will bald Medizin studieren
© Jonas Opperskalski

Die Fabrik allerdings stand in Ma’ale Adumim, einer israelischen Siedlung im Westjordanland. Siedlungen wie sie sind umstritten, sie gelten international als rechtswidriges Hindernis für den Friedensprozess. Die EU etwa schließt deshalb Unternehmen, die dort produzieren, von ihrem Freihandelsabkommen mit Israel aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Sodastream wegen des Betriebs Probleme bekommen würde. In der Zentrale von Sodastream empfängt heute Daniel Birnbaum, 52, CEO. Als Siebenjähriger ist er mit seiner Familie von New York nach Israel gezogen, doch die routinierte amerikanische Lockerheit hat er sich bewahrt: In der Zentrale nahe dem Ben Gurion Airport, an deren Wänden bunte Sprudelblasen prangen, begrüßt er Besucher in einem T-Shirt in Neonorange, schwärmt von seiner liebsten Sodastream-Sirup-Sorte (Kokos) und scherzt darüber, dass es wohl schwer wird, die Deutschen von Sodastream-Bier zu überzeugen. Danach gefragt, wie er zwischen die Fronten eines Jahrhundertkonflikts geriet, gibt er sich unschuldig: „Ich bin mitten in diesem Konflikt gelandet, ich habe nie darum gebeten.“

Boykottaufrufe gegen Sodastream


Die Geschichte von Sodastream reicht zurück bis 1903, als in London der erste Wassersprudler erfunden wurde. Von Großbritannien aus wurden die Geräte im Laufe des Jahrhunderts populär – obwohl die Sprudler für den Privatgebrauch, die in den Fünfzigern auf den Markt kamen, noch einige Macken hatten. Der Sodastream-Vertreter für Israel war Anfang der 90er-Jahre angeblich so frustriert von den Geräten, dass er unter dem Namen Soda-Club ein eigenes entwickelte. 1998 übernahm er mit seiner neuen Firma seinen alten Arbeitgeber und vertrieb die Sprudler später wieder unter dem Namen Sodastream. Daniel Birnbaum trat 2006 den Chefposten bei Sodastream an, und spätestens 2010, als er das Unternehmen an die Börse brachte, wusste er um das Konfliktpotenzial der Fabrik im Westjordanland. In der Registrierungserklärung für die US-Börsenaufsichtsbehörde heißt es: „Da unsere wichtigste Produktionsstätte in umstrittenem Territorium liegt, könnten wachsende politische Spannungen und negative Publicity die Nachfrage nach unseren Produkten negativ beeinflussen.“ Die Warnung erwies sich als weitsichtig. Unter Birnbaum wuchs Sodastream ordentlich – aber je bekannter die Firma wurde, desto stärker geriet sie ins Visier propalästinensischer Aktivisten. Die international vernetzte BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions) organisierte in Europa, den USA und Australien Proteste vor Geschäften, die Sodastream-Produkte führen, startete Boykottkampagnen und randalierte vor lokalen Firmensitzen.

Sticker mit Boykottaufruf ­gegen Produkte, die in Israel hergestellt werden
Sticker mit Boykottaufruf ­gegen Produkte, die in Israel hergestellt werden
© Jonas Opperskalski

In Skandinavien wurde der Druck so groß, dass Sodastream 2011 versichern musste, nur noch Produkte nach Skandinavien zu liefern, die in China gefertigt werden – der „Mutter der Menschenrechte“, wie Birnbaum später sarkastisch anfügte. 2014 verkündete Sodastream, die umstrittene Fabrik zu schließen und die gesamte Produktion in die israelische Wüste Negev zu verlegen. Die BDS-Bewegung feierte das als Sieg gegen „kriminelle Unternehmen“, die an „Israels Apartheid und Kolonialismus“ teilnähmen. „Die Fabrik damals war alt, klein und überfüllt. Sie hat unseren wachsenden Ansprüchen nicht mehr genügt“, sagt dagegen Birnbaum. „Mit BDS hatte der Umzug nichts zu tun.“ Er will seinen Gegnern – dieser „kleinen Randgruppe von Wirtschaftsterroristen“ – den Triumph nicht gönnen. Und das betriebswirtschaftliche Argument zieht durchaus: So wie Sodastreams Umsatz stieg, mussten natürlich auch die Kapazitäten ausgebaut werden. Allerdings investiert Birnbaum einiges, um einen Widersacher zu bekämpfen, den er vorgeblich für „nicht besonders mächtig“ hält. Birnbaum selbst trat 2015 vor dem US-Kongress auf und drängte die Abgeordneten, juristisch gegen die BDS-Bewegung vorzugehen. In Frankreich klagte Sodastream erfolgreich gegen einen Boykottaufruf. Und im vergangenen Sommer prangerte er die Aktivisten vor den Vereinten Nationen an. Es liegt nahe, dass die Boykottkampagne in die Entscheidung für den Standortwechsel zumindest eingeflossen ist.

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Die neue Sodastream-Fabrik steht 70 Kilometer südöstlich der alten, in der Negev-Wüste nahe der Beduinenstadt Rahat. Weiße Kästen mit grasgrünen Dächern inmitten graubrauner Ödnis, die sich bis zum Horizont erstreckt. Bis zur Grenze zum Westjordanland sind es keine 15 Kilometer. In der Fabrik brummt es geschäftig, Frauen und Männer stehen in blauer Arbeitskleidung an Fließbändern, schrauben Plastikaufsätze auf Flaschen, packen Kartons. 500 Beduinen arbeiten hier, dazu israelische Araber, jüdische Israelis und russische Einwanderer, 1400 Menschen insgesamt. Rufe auf Hebräisch, Arabisch und Russisch schallen durch die Halle. Ali Jafar, der Palästinenser, hatte viele der neu angestellten Beduinen noch selbst angelernt – aber nun arbeitet er nicht mehr hier. Denn mit der Schließung der Fabrik in Ma’ale Adumim entließ Sodastream über 500 palästinensische Mitarbeiter. Palästinenser wie Jafar, die keine israelische Staatsbürgerschaft besitzen, brauchen eine Genehmigung, um innerhalb Israels zu arbeiten. Birnbaum sagt, er habe über hundert Genehmigungen beantragt, doch die israelischen Behörden hätten nur 74 bewilligt. Jafar gehörte zu den Glücklichen und konnte zunächst bleiben. Im Februar aber entschieden die Behörden, die Genehmigungen nicht zu verlängern – das Aus für Ali Jafar und seine 73 palästinensischen Kollegen.

„Ich bin Ali Jafar“


Von ihrem letzten Arbeitstag hat Sodastream ein Video veröffentlicht: Frauen mit Kopftuch fallen ihren israelischen Kolleginnen weinend um den Hals, ein Arbeiter mit Kippa legt den Arm um einen Palästinenser, am Ende formen alle gemeinsam auf dem Vorhof der Fabrik ein Peace-Zeichen. Der Clip ist professionell geschnitten und mit Klaviermusik unterlegt. Es ist leicht, ihn als PR abzutun, ebenso wie ein zweites Sodastream-Video, in dem israelische und palästinensische Angestellte, wieder zu Pianoklimpern, gemeinsam lachen und scherzen.

Ali Jafar aber sagt: „Sodastream war mein zweites Zuhause. Unser Chef hat sich immer für uns eingesetzt.“ Er hält mit früheren Kollegen Kontakt, Palästinensern wie Israelis. Bis heute hängen in den Sodastream-Büros Zettel mit dem Slogan: „Ich bin Ali Jafar“ – eine selbst gedruckte Solidaritätserklärung, die kein PR-Experte von Sodastream sich besser hätte ausdenken können. Es war Birnbaum, der kurz nach seinem Antritt 2006 die ersten palästinensischen Arbeiter anstellte, weniger aus Idealismus als ökonomischer Notwendigkeit: Seit 1996 produzierte Sodastream an dem Standort, und die Zweite Intifada, der palästinensische Aufstand mit seiner Welle von Selbstmordattentaten, lag bei seinem Antritt erst wenige Jahre zurück – es fanden sich schlicht zu wenige Israelis, die bereit waren, zwischen den arabischen Dörfern des Westjordanlands zu arbeiten. Anfangs seien palästinensische und israelische Arbeiter unter sich geblieben, erinnert sich Birnbaum, doch mit der Zeit hätten sie sich angenähert und angefreundet. Und was an seinen Fließbändern funktioniert hat, meint Birnbaum, ließe sich im großen Maßstab wiederholen. „All die Anschläge auf Israelis kommen von jenen 170.000 Palästinensern im Westjordanland, die keine Jobs haben. Was würde passieren, wenn wir weitere 100.000 von ihnen in Israel anstellten? Sie hätten einen Grund zu leben. Der Aufstand würde stoppen.“

Bio statt Cola


Birnbaum hat immer wieder so argumentiert, wenn er die Arbeitsgenehmigung für die 74 Palästinenser einforderte. Doch die Regierung blieb hart. Offizielle Stellen geben sich bei dem Thema wortkarg: „Die Politik der israelischen Regierung ist es, der Anstellung von Israelis den Vorzug zu geben“, heißt es. Birnbaum wiederum ist überzeugt, dass sie ihn auch persönlich treffen wollten. Im Kampf der Slogans und Schlagzeilen hat er eine neue Front eröffnet, diesmal gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. „100.000 Palästinenser arbeiten in Israel, und trotzdem blockiert die Regierung meine 74“, ruft er. „Sie kann mich nicht ausstehen, weil ich nicht nett über Netanjahu rede: Er hält den Konflikt am Leben, um seinen Job zu retten, das ist kriminell. Er wäre nicht an der Macht, wenn wir Frieden hätten.“ Birnbaum hat in den vergangenen Monaten etliche Interviews gegeben, in denen er seine Vision für einen neuen Nahen Osten ausbreitet. Einmal forderte er sogar, Israel solle syrische Flüchtlinge aufnehmen, er selbst würde Arbeitsplätze für sie schaffen. Beinahe ließe sich darüber vergessen, dass er nebenbei ein börsennotiertes Unternehmen führt, zuletzt mit einigem Erfolg. Nach schwachen Jahren und sinkenden Verkäufen – 2015 sackte der Aktienkurs auf den Stand der Erstplatzierung 2010 – änderte Birnbaum die Strategie: Galt Sodastream bis dahin als günstige Alternative zu Cola und Pepsi, ist das Unternehmen nun auf den Gesundheits- und Nachhaltigkeitstrend aufgesprungen. Mittlerweile verkauft es Sirups in Geschmacksrichtungen wie Bio-Holunderblüte und wirbt damit, Plastikflaschen überflüssig zu machen. Der Schwenk zahlt sich aus: Im zweiten Quartal 2016 stieg der Umsatz im Jahresvergleich um 17,2 Prozent, der Aktienkurs um 16 Prozent.

T-Shirts für Soldaten


Wirtschaftlich läuft es also, auch ohne Palästinenser. Was treibt Birnbaum dann wieder und wieder mit politischen Einlassungen an die Öffentlichkeit? „Mir geht es nicht um Politik, sondern um Humanismus“, beteuert er. „Ich bin überzeugt, dass Israelis und Araber gemeinsam eine friedliche, sichere und prosperierende Region schaffen können. Und ökonomischer Frieden ist ein erster Schritt hin zu einem breiteren Frieden.“ Birnbaum dürfte damit auf seinen Absatzmärkten im Westen den richtigen Nerv treffen. Aber eine linke Friedenstaube ist er auch nicht. Er nennt sich selbst einen „pragmatischen Rechten“ und „guten Zionisten“. Für einen Palästinenserstaat tritt er aus rein praktischen Erwägungen ein, und das Westjordanland nennt er selbst „befreit, nicht besetzt“. Während des zweiten Libanonkriegs spendete er, damals noch CEO von Nike in Israel, Shirts und Socken für israelische Soldaten. „Mein Vater hat nur knapp den Holocaust überlebt, seine gesamte Familie wurde ermordet. Er hat mich gelehrt, wie wichtig Israel als sicherer Hafen für die Juden ist“, sagt er. „Aber wir müssen empathisch gegenüber anderen bleiben. Nicht jeder Palästinenser ist ein Terrorist. Wir müssen Brücken bauen.“ An einem heißen Freitagmittag sitzt Ali Jafar in einem Containerbüro südlich von Jerusalem. Er hatte Glück: Nach zwei Monaten ohne Job hat er eine Stelle in einer israelischen Transportfirma gefunden. Auf dem Handy zeigt er ein Foto seiner Tochter mit ihrem Schuldirektor: „Da gratuliert er ihr, weil sie Klassenbeste ist.“ Haya ist 17, nächsten Sommer beendet sie die Schule, sie träumt davon, Augenärztin zu werden. Das Studium an einer palästinensischen Universität kostet aber mehrere Tausend Euro im Jahr. Doch dank des neuen Jobs hat Jafar Hoffnung. „Israelische Firmen zahlen doppelt so viel wie palästinensische“, sagt er. „Wenn man eine Tochter hat, die studieren will, macht das einen entscheidenden Unterschied.“ Bloß: Nach Ansicht der BDS-Aktivisten ist auch Jafars neuer Arbeitgeber kriminell. Genau wie Sodastream sitzt er in einer israelischen Siedlung im Westjordanland.

Die Reportage ist zuerst in Capital 1/2017 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon

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